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Im Sommersemester 2005 lautet der Seminartitel an der Kunstakademie Düsseldorf:


Anfänge: Philosophische Betrachtungen von Kreativität.





Im Wintersemester 2004/5 wird es erstmals ein semesterbegleitendes Seminar der Peripatetiker geben.

Seminarbeschreibung:

Was bedeutet es, ,im Fluss' zu sein? Wenn alles fließt, wie ist dann Beständigkeit oder gar Identität möglich - oder unmöglich? Und: Inwieweit lässt sich das Wesen des Flusses als Metapher überhaupt philosophisch erklären?

Ziel des Seminars ist es, sich dem Wesen des Flusses auf unterschiedliche Weisen im Rahmen philosophischer Betrachtungen anzunähern: 1. Klassisch philosophisch anhand der Lektüre gewählter Fragmente Heraklits und den Reflektionen etwa Hans Blumenbergs dazu. 2. Literarisch anhand der Besprechung Hermann Hesses Roman ,Siddharta', worin der Fluss als ,Lehrmeister' verstanden wird. Die Lektüre bietet sich an, die indische Philosophie mit ihrem nicht-dualistischen Ansatz am Rande zu streifen. 3. Psychologisch anhand einer kritischen Lektüre Csikszentmihalyis, der den Begriff des ,Flow Effektes' geprägt hat und die These des ,Geheimnis' des Glücks durch Flow' aufgestellt hat.  Und schließlich 4. soll sich dem Thema ,Fluss' peripatetisch angenähert werden, indem im Rahmen des Seminars ein Spaziergang am Rhein entlang durchgeführt wird, währenddessen die akademisch/theoretisch gewonnenen Erkenntnisse sinnlich an die Wahrnehmung gekoppelt werden sollen, um so idealerweise einen dritten Zustand zwischen Verstand und Sinnen herbeizuführen, der die theoretischen Erkenntnisse überprüft und ergänzt.

 

Gelesen werden Auszüge aus:


Heraklit aus Ephesus: Fragmente


Blumenberg, Hans: Begriffe in Geschichten. Suhrkamp Frankfurt (Main)


Weininger, Otto: Über die letzten Dinge.


Hesse, Herrmann: Siddharta, Suhrkamp Frankfurt (Main)
Csikszentmihalyi, Mihal: Flow, das Geheimnis des Glücks

 












Ich habe soeben zum ersten Mal eure Homepage erblickt und war ziemlich beeindruckt. Mir ist nun klar, welche Idee sich hinter den Peripatetikern verbirgt. Meine anfängliche Skepsis hat sich damit wohl endgültig verabschiedet - beim Denken laufen, beim Laufen denken??? Meine Skepsis bezog sich darauf, ob man denn wohl beim Laufen oder eher im Sitzen besser denken könne. Der Punkt bzw. euer Punkt ist aber ein ganz anderer! Es geht nicht vorrangig darum, beim Denken zu laufen oder beim Laufen zu denken, sondern um den Kontakt und die Konfrontation mit dem Gegenstand der Reflektion. Der Philosophie soll wieder Leben eingehaucht werden. Insofern ist der Begriff "Peripatetiker" schon ein wenig irreführend. Es geht schließlich nicht nur um das grübelnde Umherwandeln (in einer Säulenhalle), sondern um einen "lebendigen" und anregenden Eindruck vom Gegenstand der Reflektion!!!  Eure Idee ist auf jeden Fall gut und fruchtbar, zumindest aus meiner eigenen  Erfahrung.   Witzigerweise hab´ ich mich nämlich (nebst Friedhof, ...) beim Stöbern auf eurer Homepage darin erinnert, wo ich "Sofies Welt" gelesen habe. Und zwar vor ein paar Jahren im Sommer mitten in der Natur. Das Lesen wurde damit zu einem richtigen Erlebnis, da ich das Staunen der Philosophen direkt nachempfinden konnte. So, nun aber zu dem eigentlichen Anliegen dieser E-Mail. Vor ein paar Tagen habe ich im "Tibetischen Buch vom Leben und Sterben" geblättert und stieß auf eine sehr eindrucksvolle Passage zum Thema Verantwortung, die aber auch zu unserer Begehung passt. Es geht um die Schilderung einer Nahtod-Erfahrung. Vielleicht könnt ihr diesen Ausschnitt ja als Material für eure Homepage oder für eine zukünftige  Begehung nutzen oder ihr fasst es schlicht als einen Beitrag zum Thema Leben und Tod auf.  

" Mein gesamtes Leben zog in einem Rückblick an mir vorbei. – Viele dieser Erfahrungen empfand ich als beschämend, da ich jetzt ein erweitertes Wissen besaß ... Mir war nicht nur klar, was ich getan hatte, sondern auch, was es in anderen bewirkt hat ... Ich erkannte, dass nicht einmal unsere Gedanken verloren gehen. Mein Leben zog an mir vorbei... ich durchlebte jede Emotion, durch die ich in meinem Leben gegangen war, nochmals. Und es öffneten sich mir die Augen dafür, wie diese Emotionen mein Leben beeinflusst hatten, und wie mein Leben das Leben anderer beeinflusst hat. Ich wurde zu den Menschen, die ich verletzt hatte und ich wurde zu den Menschen, denen ich geholfen hatte. Es war ein totales Wiedererleben jedes einzelnen Gedankens, den ich je gedacht hatte, jedes Wortes, das ich je gesagt hatte, und jeder Handlung, die ich je getan hatte; zusammen mit der Wirkung, die jeder Gedanke, jedes Wort und jede Handlung auf alle Menschen gehabt hatte, die je in meinen Einflussbereich gekommen sind, ob ich sie nun gekannt habe oder nicht...; und auch die Wirkung von Gedanken, Worten und Taten auf Wetter, Pflanzen, Tiere, Erde, Bäume, Wasser und Luft." 

Ich glaube, dieser Text bietet (in der richtigen Stimmung!) jede Menge Stoff, um über die Bedeutung des Lebens nachzudenken.   
Kai








Peripatetiker im Sitzen.


Auf der Philosophenfahrt der FU Berlin in Tschechien regnete es tagein tagaus. Aber es gab diesen überdachten Kamin draußen im Wald. Und da wir ein peripatetisches Event beisteuern wollten und Descartes im Gepäck lag, machten wir aus der Not eine Tugend und lasen die erste Meditation vor dem brennenden und knisternden Kamin.

„Worüber man zweifeln kann“ ist der Titel dieser Meditation und die Herausforderung im Sinne des peripatetischen Philosophierens ist es, die praktische Situation Descartes’ nach zu erleben und dabei seinen Gedankengang hinsichtlich der dort beschriebenen Sinneswahrnehmung respektive –täuschung zu rekonstruieren.

Descartes fragt sich, woran er zweifeln kann und kommt zu dem Ergebnis, dass er an nahezu allem zweifeln kann, vor allem aber an den Sinneswahrnehmungen. Er kann zweifeln, ob er wach ist oder träumt oder träumt dass er träumt usw. Diesen Gedanken unterstreicht Descartes dadurch, dass er schildert, wie er vor dem Kamin sitzt und vor sich hin dämmert, die Grenze zwischen Wach und Traum nicht mehr scharf ziehen kann und darüber – wohl wach – zu zweifeln beginnt und feststellt, dass einzig das Denken den Grund seines Seins erklärt; es folgt das legendäre cogito ergo sum.





"Alles nämlich, was mir bisher am sichersten für wahr gegolten hat, habe ich von den Sinnen oder durch die Sinne empfangen; aber ich habe bemerkt, dass diese mitunter täuschen, und die Klugheit fordert, Denen niemals ganz zu trauen, die auch nur einmal uns getauscht haben. - Allein wenn auch die Sinne in Bezug auf Kleines und Entferntes bisweilen uns täuschen, so ist doch vielleicht das meiste derart, dass man daran nicht zweifeln kann, obgleich es aus den Sinnen geschöpft ist, z.B. dass ich hier bin, am Kamin, mit einem Winterrock angethan, sitze, dieses Papier mit der Hand berühre, und Aehnliches. Mit welchem Grunde könnte man bestreiten, dass diese Hände, dieser ganze Körper der meinige sei?"

 

Also lässt sich auch ohne Spaziergang vortrefflich peripatetisch philosophieren, denn sitzt man erst einmal vor dem Kamin nach einem langen Tag, sieht die Flammen züngeln und die Schatten flackern, spürt die Hitze auf den Wangen und die Kälte an den Waden und lauscht dabei Descartes' authentischer Philosophie, so lässt sich ein Szenario erschaffen, das die Sinne mit dem Denken Descartes verbindet

 

Die anschließende Diskussion war durchaus fruchtbar. Das unverbesserliche Solipsismus-Argument stand dem ,methodischen Zweifel' Descartes gegenüber und wir stritten emsig darüber, ob Descartes den Zweifel in der Ersten Meditation literarisch konstruiert hat oder ihn authentisch erlebte. Die Überlegung läuft auf die Frage hinaus, ob Descartes wusste, dass er alles in Zweifel ziehen würde, um die fünf weiteren Meditationen auf methodisch sicherem Fundament anstellen konnte, oder ob er tatsächlich vom Winterspatziergang kam und beim Verfassen der ersten Meditation noch nicht wusste, wie es weiter gehen würde.

Gleichwohl von der Forschungsseite her es wohl klar ist, dass die Meditationen eine geschickte Konstruktion sind, so ist es doch im Zuge der sinnlichen Wahrnehmung des Beschriebenen nachvollziehbar, dass der historische Descartes seinen Gedanken eben nach beschriebener Situation entwickelte. Genau wie August Kekulé seinen Benzolring vor dem Kamin im Halbschlaf erträumte. 




Als persönliches Fazit: Kennt man Descartes nur aus theoretischem Philosophiezusammenhang, so ist es sehr inspirierend und kurzweilig, dem Gedanken des ,methodischen Zweifels' auf sinnliche Weise auf die Spur zu kommen. Dies ersetzt natürlich nicht das (theoretische) Studium der Schriften, doch bereichert es die Auseinandersetzung und die Kritikfähigkeit, ebenso wie es die Memorierbarkeit ungemein erhöht.

Peter Seele. 

 




Bei Wind und Wetter.

...es ist nun schon eine Weile her, daß wir zusammen
spazieren gegangen sind. Vielleicht kann ich mich noch an den einen oder
anderen Gedanken erinnern, die wir nur anreißen konnten.

Darin allerdings bestand der - zugegeben unerwartete - besondere Reiz
unserer kleinen Unternehmung, daß nur eben immer wie im Spiel von einem
zum nächsten Punkt gegangen wurde, ohne länger zu verweilen und intensiv
zu werden. Stets blieb reichlich Raum für Phantasie, und die anregenden
Texte konnten Kreise ziehen wie ins Wasser plumpsende Steine. Ich habe
das Gefühl, noch viel davon lernen zu können.

Demnächst mehr, wenn weitere Gedanken meine Stirn erheitern!

Michael







In punkto flow-Erlebnis ist die konstitutive Wanderung der Peripatetiker am 1.1.2002 ein Fingerzeig auf die am 27.4.2002 folgende Wanderung „Alles fließt!“ gewesen. Denn trotz des gewagten Termins und der deswegen sehr kleinen Gruppe hat uns die Begehung des Affenhauses des Berliner Zoos zum Thema „Akademie und Peripatos, Affe und Mensch, Wissen und Wahrnehmen“ derart gefangengenommen, dass wir nicht nur einen satten Gedankenfluss wahrnehmen konnten, sondern auch völlig die Zeit vergessen haben. Insofern erwarten wir die Gedankenblitze und –flüsse des 27.4. mit besonderer Spannung.

Dass das Konzept des „Peripatos“ aufgeht, haben wir am eigenen Leibe nachvollziehen können: das Gehen passt sich dem Denken an, mal schreitet man zügig vorwärts und schaut in die Ferne, mal bummelt man und fixiert die eigenen Füsse mit dem Blick, manchmal muss man sogar stehen bleiben. Denn nicht jeder Gedanke kann in ein und demselben Schrittmaß gedacht und versprachlicht werden. „Beim Denken laufen, beim Laufen denken“ bedeutet also Mobilität und Freiraum, und selbst das Stehenbleiben ist Teil dieser Mobilität.

Meist sind wir in einem ruhigen Tempo nebeneinander her geschritten. Sowohl auf dem Weg zum Affenhaus als auch darin haben wir uns reihum die Textauszüge vorgetragen und über sie gesprochen. Bemerkenswerterweise mussten zu keiner Zeit „Regieanweisungen“ gegeben werden: meist hat es sich nach einer Weile des Gesprächs von selbst ergeben, dass einer der Teilnehmer eine weitere Passage vorgetragen hat, und dieser Zeitpunkt ist stets von allen als „genau der Richtige“ zum Fortfahren empfunden worden. Ein weiteres Zeichen dafür, wie tief uns der flow konzentriert und verbunden hat.

Als die Kernfrage haben wir Nietzsches Frage empfunden, was dem Menschen der Affe sei: „Gelächter“ oder „schmerzliche Scham“?

Vom Schreibtisch der Wohnung aus scheint diese Frage nicht sehr bewegend zu sein. Ich kann mir einen Affen vorstellen, aber löst diese Vorstellung ein Gefühl in mir aus? Läßt sie mich lachen oder schämen? Beide Wörter scheinen, aus der Perspektive des Schreibtisches, ein bißchen zu groß, zu wichtig, zu empathisch zu sein.

Im Affenhaus stehen wir vis à vis zu den Affen. Auch wenn wir alle schon mal im Zoo waren, ist dies eine neue Erfahrung, und im Gegensatz zu vielen anderen Zoobesuchern, die neben uns stehen und über die Kunststücke und Grimassen der Affen kichern, bleibt uns das Lachen im Hals stecken. Wir sehen die Affen an und fragen uns, was sie uns lehren. Und wir bewundern sie: den einen wegen seiner stoischen Ruhe, den anderen für seine akrobatischen Meisterleistungen, den dritten für eine Choreographie und ein Rhythmusgefühl, die nicht nur erstaunlich, sondern auch mitreißend sind. Und fragen uns, ob, und wenn ja, was sie denken, wenn sie uns Menschen sehen.

Unser Spaziergang vor den Affen endet vor dem sogenannten „Alte-Welt-Affen“ aus Indien, aus dessen Geschlecht auch Hanuman, der indische Affengott, entstammen soll. Er ist der Stellvertreter der Tiere unter den Göttern, aber nicht nur er ist heilig, sondern die ganze Tierwelt.

Als wir gerade mitten in diesem Gedanken über die Heiligkeit der Tiere im Hindu-Dharma stecken, bekommt der Repräsentant Hanumans vor unseren Augen sein Abendessen und wir müssen das Affenhaus verlassen, obwohl wir noch gefangen sind von den Eindrücken. Eine Weile nach Ende des Spaziergangs, als wir in einem Café eingekehrt sind, hält diese magische Aufmerksamkeit noch an, doch dann stellt sich bei allen die große Kopfmüdigkeit ein. Ein flow ist eben auch anstrengend. Warum? Die Frage stellt sich dann am 27.4. erneut.

(Katrin Seele)





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