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Die Besonderheit der Peripatetiker besteht in der Verbindung des Themas mit dem Ort und wie dieser sinnlich wahrgenommen wird. Somit werden Lernressourcen aktiviert, die in der Studierstube verstauben würden und gleichzeitig werden Gedankengänge ermöglicht, die beim (auch sehr reizvollen) ins Blaue spazieren sich nicht in dieser themengebundenen Form ergeben würden.
Diese Methode wurden von den Initiatoren Katrin und Peter Seele 2001 im Rahmen einer Initiative an der Fakultät für das Studium Fundamentale an der Universität Witten/Herdecke entwickelt.


Peripatetiker, griechisch peripatein, „umherwandeln“
Die Angehörigen der aristotelischen Schule; benannt nach dem Peripatos, der im Schulbezirk gelegenen Säulenhalle des Lykeion-Gymnasions, in der die Gespräche mit den Schülern im Aufundabwandeln geführt wurden.


„Ein klarer, schöner Gedankengang, den ich irgendwie mit dem Bauch ausgeheckt haben muss, denn Affen denken mit dem Bauch: Kratz dir das Fleisch zwischen den Fußzehen auf, du wirst den Grund nicht finden. Drück dich hinten gegen die Gitterstange, bis sie dich fast zweiteilt, du wirst den Grund nicht finden. Ich hatte keinen Ausweg, musste mir ihn aber verschaffen, denn ohne ihn konnte ich nicht leben. Immer an dieser Kistenwand – ich wäre unweigerlich verreckt. Aber Affen gehören bei Hagenbeck an die Kistenwand – nun, so hörte ich auf, Affe zu sein.
Kafka: Ein Bericht für eine Akademie



Der Mangel

Der Niedergang der philosophischen Tradition wird vielerorts beklagt, mitunter sogar begrüßt. Es gehe seit Wittgenstein nur noch um Sprachkritik, resümiert Stephen W. Hawking vom hohen Ross der Physik herab. Und tatsächlich, die Philosophie scheint sich in misslicher Lage zu befinden: Analytische Nachbuchstabiererei von Geist, Seele, mind und anderen Phantomen in den geschlossenen Räumen der Akademien. Staubige Wissenschaft. Konsequenterweise nennen wir jene Philosophie Philosophiewissenschaft. Diese Art von Philosophie ist häufig recht theoretisch. Ihr fehlt das Leben. Man könnte sie - drastisch formuliert - auch von einem Rechenschieber nach einem transformationsgrammatischen Algorithmus betreiben lassen, der von einem trainierten Affen beaufsichtigt wird. In den geschlossenen Räumen der Akademien fiele das möglicherweise nicht einmal sofort auf.
Der Mangel beim Denken also besteht unserer Ansicht nach nicht in der fachlichen ‚Überflügelung’ anderer Disziplinen wie der Physik, Biologie oder Informatik, sondern in der ermöglichten Abwesenheit des Lebens beim Denken.

Das Bedürfnis

Wenn nun also der Mangel die Abwesenheit des Lebens beim Denken sein soll, wie bekommt man das Leben dann wieder dorthin, wo gedacht wird, in die Akademien? Oder gilt es etwa das Wesen der Akademien per se zu hinterfragen?
Die Bezeichnung Akademie leitet sich von dem Bezirk des Heros Akademos in Athen ab, einer Gartenanlage, wo Platon seine Schüler versammelte. Heute sind Akademien nicht einmal mehr Gärten, sondern Institutionen, meist staatlich organisiert. Das Denken wurde institutionalisiert und somit, so lautet die These, der conditio humana entfremdet. Deswegen die Provokation, moderne Philosophie könne von Rechenschiebern und Affen betrieben werden. Es ist unserer Ansicht nach aber gerade die Stärke des Menschen, die Reize der Umwelt sinnlich wahrzunehmen, emotional zu interpretieren und kritisch/rational zu spiegeln. Gesucht ist also eine Methode, welche die anthropologische Grundvoraussetzung des Denkens nicht nur berücksichtigt, sondern programmatisch nutzt. Stichwörter wie ‚Muskelgedächtnis’ oder ‚Sinnenbewusstsein’ weisen in diese Richtung. Akademische Institutionen sind dabei zweifelsohne nicht abzulehnen. Sie erst ermöglichen die Didaktik und somit auch den Erhalt von Wissen. Doch bleibt die Frage nach einer Methode, die das Wissen der Akademien mit den Möglichkeiten und Bedürfnissen des einzelnen Menschen koppelt.


Der Ausweg

Die Idee, beim Denken zu laufen und beim Laufen zu denken ist nicht neu. Selbst zur Gründungszeit der platonischen Akademie wurde nicht nur in den Akademien nachgedacht. Phaidros eröffnet in gleichnamigem Dialog dem Sokrates: „Das Einfachste nun ist es für uns, die Füße benetzend das Wässerlein hinabzugehen, und auch nicht unangenehm ist es zumal in dieser Jahres- und Tageszeit.“ Später setzen sie sich in den Schatten einer Platane und dachten gemeinsam über den Eros nach. Aristoteles kultivierte das Denken beim Laufen, indem er in Abgrenzung zur platonischen Akademie die peripatetische Schule ins Leben ruf. Die philosophische Schule der Stoa wurde nach dem berühmten Säulengang benannt, der eben genau dazu diente beim Denken beschritten zu werden. Descartes beginnt seine Meditationen nach einem langen Spaziergang vor dem Kamin und Albert Camus erschafft aus seinen Ausflügen nach Tipasa gar den Begriff des ‚mittelmeerischen Denkens’.
Der peripatetische Freundeskreis der Gegenwart nun geht einen Schritt weiter: Ziel ist es, eine Verbindung zwischen Themenstellung und Umwelt herzustellen. Was an Umweltreizen wahrgenommen wird ist idealiter das Thema. Die Sinneseindücke korrespondieren mit der thematischen Vorgabe. Ein Beispiel: Anstatt im geheizten Raum darüber nachzudenken, was Heraklit damit gemeint haben könnte, dass alles fließt, oder man nicht zweimal in denselben Fluss steigen könne, kann man doch besser an einem Fluss entlang laufen, sich die Oberfläche ansehen und ggf. hineinsteigen und dabei Heraklit überdenken.
Wir wollen keinen induktiven Empirismus propagieren. Unsere peripatetischen Gedankengänge sollen vielmehr eine lebenszentrierte Methodenergänzung darstellen, die als Bereicherung des akademischen Wissens und Denkens oder auch als Einstieg in akademisches Denken verstanden werden soll. Idealerweise stellen peripatetische Begehungen eine Ergänzung zum akademischen Lehren und Lernen statt.










ZUR AKADEMIE
Die Bezeichnung Akademie leitet sich von dem Bezirk des Heros Akademos in Athen ab, wo Platon in seinen Gärten die Schüler versammelte.
Lehrer und Schüler wohnten gemeinsam in den verschiedenen Häusern des Anwesens. Lehrveranstaltungen und Disputationen erfolgten nach festgelegten Lehrplänen.

ZUM PERIPATOS
Peripatetiker, griechisch peripatein, „umherwandeln“
Die Angehörigen der aristotelischen Schule; benannt nach dem Peripatos, der im Schulbezirk gelegenen Säulenhalle des Lykeion-Gymnasions, in der die Gespräche mit den Schülern im Aufundabwandeln geführt wurden.

Als Alexander seinen Feldzug nach Asien antritt, kehrt Aristoteles nach Athen zurück und gründet die Peripatetische Schule, genannt nach den Wandelgängen im Lykeion (benannt nach dem Hain des Apollon Lykeios). Der Philosoph besitzt eine große Bibliothek und umfassende Sammlungen von Tieren und Gewächsen, die ihm Alexander von seinen Feldzügen hat zuschicken lassen.



Thomas Bernhard - Gehen (Roman)

... Was wir haben, ist nichts als nur Verstandesersatz. Ein Ersatzdenken ermöglicht unsere Existenz. Das ganze Denken, das gedacht wird, ist ein Ersatzdenken, weil wirkliches Denken nicht möglich ist, weil es wirkliches Denken nicht gibt, weil die Natur wirkliches Denken ausschließt, weil sie wirkliches Denken ausschließen muss....






Katrin und Peter Seele
seele (a t) email.de





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